Livestream-Review: KATATONIA

Eines ist klar: das Erlebnis, in einem gemütlichen Club oder einer gut gefüllten Halle ein Konzert zu erleben, am besten noch von einer Lieblingsband, ist durch nichts zu ersetzen. Aber ungewöhnliche Situationen erfordern ungewöhnliche Maßnahmen und so lange SARS-CoV-2 die Welt im Griff hat, muss man sich eben mit Livestreams zufrieden geben. Immerhin – die moderne Technik macht es möglich, von der heimischen Couch Auftritte ohne Publikum zu erleben. So wie den der schwedischen Depri-Metal-Götter KATATONIA im Studio Gröndahl in Stockholm. Zugegeben, ein bisschen wirkt das Ganze wie eine hochprofessionelle Bandprobe mit Lichtshow und nicht wie ein Konzert – aber das macht das Ganze auch irgendwie intimer, als wenn die Band auf irgendeiner Bühne stehen würde. Die Schweden machen aber – in jeder Hinsicht – das Beste aus der auch für sie seltsamen Situation. Dafür, dass es kein Publikum gibt und man gefühlt nur für sich selbst spielt, sind die Musiker, allen voran Gitarrist Anders Nyström, so aktiv, wie es ihre Musik zulässt. Im Grunde genommen als so, wie bei einem „echten“ Konzert. Auch Sänger Jonas Renkse bewegt sich in seinem eigenen, engeren Rahmen recht viel und bedankt sich immer wieder beim virtuellen Publikum. Aufgenommen wird das Ganze mit mehreren Kameras, die das Ganze recht stimmungsvoll einfangen und für ein gewisses Gefühl der Nähe sorgen. Lichttechnisch dominiert über beinahe den gesamten Auftritt die Farbe blau, was wiederum perfekt zur kühlen, melancholischen Grundstimmung der Musik passt. Die wiederum erklingt nahezu perfekt aus den heimischen Boxen. Zum einen scheint das Studio für so ein Projekt das ideale Equipment zu bieten, zum anderen ist mit David Castillo ein absoluter Meister seines Fachs an den Reglern und sorgt für einen akustischen Hochgenuss. Noch beeindruckender ist jedoch, mit welcher Präzision und scheinbaren Leichtigkeit die Schweden ihr Material darbieten. So eingänig ihre Songs auf den ersten Eindruck oft sein mögen, so komplex sind sie in ihrem Kern und ihren Arrangements. Und trotzdem wirken sie lebendig und voller Energie. Das Ganze wird jedoch nochmal getoppt – und zwar von der sensationellen Setlist. Die Band hatte für die anstehenden und ausgefallenen Auftritte des Sommers die Fans über die Songs, die gespielt werden sollen, abstimmen lassen und lässt das Ergebnis dieses Votings in diesen Abend einfließen. Das Ergebnis ist eine Setlist, die die Alben von “Last Fair Deal Gone Down” bis zum neuen “City Burials” (dessen drei Songs zum ersten Mal live gespielt werden) umfasst und deren Fokus mit sechs Songs auf dem grandiosen “The Great Cold Distance” liegt. Für Anhänger der ersten drei, vier Alben mag das ein bisschen unbefriedigend sein, nichtsdestotrotz stellt diese Zusammenstellung die Quintessenz dieser einzigartigen Band dar. Der knapp anderthalb- stündige Stream kann und sollte für 10 € noch bis zum 15. Juni hier genossen werden.

Andreas Schulz

Setlist:
Lethean
Teargas
Serein
Deliberation
The Winter Of Our Passing
Ghost Of The Sun
The Racing Heart
Soil’s Song
Old Heart Falls
Forsaker
Tonight’s Music
In The White
Leaders
Lacquer
Omerta
My Twin
Unfurl
July
Evidence
Behind The Blood